Lange begann das Buch mit Reas und Brunos Ankunft am Flughafen: Eggert holt sie ab und wir erleben mit, wie er geistesabwesend ohne Bruno losfährt und Rea damit einen furchtbaren Schreck einjagt.
Diese Szene war das erste, was ich überhaupt für dieses Buch geschrieben habe, deshalb habe ich sie nur schweren Herzens wieder gestrichen. Aber ich habe mich überzeugen lassen, dass es klüger ist, direkt mit dem „großen Knall“ einzusetzen, nämlich als Nora plötzlich die Tür des Hauses öffnet. Und jetzt bin ich damit auch sehr zufrieden.
Hier also die Szene am Flughafen:
Do. 19. Juli
Die Automatiktür des Flughafengebäudes öffnete sich, Rea Seeger trat aus der kühlen Terminalhalle und prallte gegen eine Wand aus stickiger Sommerluft. Sie hatte geahnt, was sie erwartete. Schon aus dem Flugzeug hatte sie die ungesund gelben Dunstglocken über den Städten auf dem Kontinent gesehen. Wie anders war dagegen die Luft in Island gewesen: klar und frisch, belebend, dazu der Blick so weit, so unendlich weit, hinweg über grüne Hänge, moosbewachsene Lavafelder oder endlose schwarze Wüste bis hin zu fernen Bergen und Gletschern. Sie seufzte. Nun waren sie wieder zu Hause und statt der frischen isländischen Luft gab es sommerlichen Hamburger Großstadtdunst.
Sie holte mehrmals tief Atem, brauchte Sauerstoff.
„Rea? Alles in Ordnung?“ Bruno blieb mit dem Gepäckwagen stehen und drehte sich mit besorgtem Blick zu seiner Frau um.
„Dieser Stadtmief! Als ich das letzte Mal hier war, gab es wenigstens noch Sauerstoff in der Luft. Wisst ihr was? Macht ihr das mit dem Gepäck, ich setze mich schon mal in den Wagen.“
Bruno wartete auf Rea und ging mit ihr gemeinsam die letzten Schritte bis zum Auto ihres Freundes Eggert, der ihr Haus während des Urlaubs versorgt hatte. Eggert hielt Rea die Autotür auf.
Rea stieg ein, ließ sich auf das helle Polster der Rückbank sinken und legte den Kopf nach hinten. Das tat gut. In Deutschland war es zwar gerade erst Mittagszeit, aber sie hatten schon einen anstrengenden Tag hinter sich: Wecken um 4 Uhr morgens, denn der einzige Direktflug hatte eine geradezu unchristliche Abflugzeit. Dann der Transfer zum Flughafen, nach dem Einchecken Warten bei dünnem Flughafenkaffee, über drei Stunden Flug. Aussteigen, lange Gänge, Passkontrolle, Koffer-Bingo. Ja, man hatte es nicht leicht als „Best Ager“, wie man sie und andere über 70-Jährige heute so charmant nannte.
Sie atmete tief durch. Jetzt war der schöne Urlaub zu Ende, schade. Nicht mehr lange, dann würden sie wieder zu Hause sein. Trotz aller Wehmut stieg bei diesem Gedanken erste Vorfreude in ihr hoch. Ihr ging jedes Mal das Herz auf, wenn sie wieder im eigenen Haus stand, in vertrauter Umgebung, den unverwechselbaren Geruch in der Nase. Sie liebte seine hellen, lichten Farben und die warmen Holzfußböden in den Wohnräumen. Das Haus war ihr eine Oase, eine Zuflucht, der sichere Ausgangspunkt für ihre Freude an der Welt.
Bald waren die Koffer verstaut. Während Bruno noch den Gepäckwagen wegbrachte, öffnete Eggert die Fahrertür und nahm hinter dem Steuer Platz. Er zog die Tür zu, schnallte sich an. Mit wachsender Verwunderung beobachtete Rea, wie er den Motor anließ. Den Gang einlegte. Den Blinker nach links setzte, um aus der Parkbucht auf die Straße auszuscheren. Aufs Gaspedal trat.
„Eggert! Was machst du denn? Bruno ist doch noch gar nicht wieder da!“, rief sie. Ihr Schrei ließ ihn abrupt bremsen. Rea ruckte hart mit Kopf und Körper nach vorne. Eggert drehte sich zu ihr um. Sein Blick wirkte abwesend, ganz weit weg, erst allmählich schien er wieder zu registrieren, wo er sich befand. Er schaute erst zu ihr, dann auf den leeren Beifahrersitz.
„Wo ist Bruno?“, fragte er.
Ehe Rea, noch völlig perplex, antworten konnte, kam Bruno zurück. Beim Einsteigen scherzte er: „Na, Eggert, du wolltest wohl mit meiner Frau durchbrennen, was? Da kommst du etwas spät, wir feiern in zwei Jahren Goldene Hochzeit!“
Rea dagegen war nicht nach Scherzen zumute. „Eggert, was ist denn los? Geht‘s dir gut? Hast du was?“
„Ja … Nein … Entschuldigung, alles in Ordnung“, murmelte Eggert. „Ich war bloß mit den Gedanken woanders.“
„Wenn du es nicht schaffst, gleich mit den Gedanken im Straßenverkehr zu sein, nehmen wir alle besser ein Taxi. Also, wie sieht’s aus?“
„Nein, nein, alles OK, das geht schon“, sagte Eggert, nun wieder mit gewohnt kräftiger Stimme, und fuhr los.
Während der Fahrt beobachtete Rea ihn misstrauisch. Was war bloß mit Eggert los? Er hatte seit ihrem Wiedersehen schon die ganze Zeit irgendwie abwesend und fahrig gewirkt, so ganz anders als sie ihn kannte. Das beunruhigte sie, erst recht nach dem Vorfall eben. Aber sie würde schon noch rauskriegen, was da los war.