Beim Stöbern im Dannenberger Buchladen fiel mir dieses Buch in die Hände. Das Cover wieder mal, so still und schön mit den glänzenden Birnen. (Rückblickend kann ich sagen: Es passt hervorragend zur Geschichte.) Ich nahm das Buch in die Hand und bereits im ersten Absatz war es um mich geschehen: Die über dem Asphalt flimmernde Luft in den Weinbergen sah „aus wie Wasser, das flüssiger war als normales Wasser; leichter und beweglicher. Sommerwasser. Man konnte es nur mit den Augen trinken.“
Worum geht es?
Es geht um selbstbestimmtes Leben – Freiheit, Autonomie, Respekt. All das fehlt der siebzehnjährigen Sally schmerzlich. Sie kann mit den Lebenswelten ihrer Eltern nichts anfangen, und diese verstehen ihre Vorstellungen nicht. Sally rebelliert, landet in der Psychiatrie, in therapeutischen Einrichtungen. Und nun ist sie abgehauen, einfach nur weg, raus. Am Anfang des Buches treffen wir sie, als sie am ersten Septembertag in den Weinbergen gelandet ist. Hier begegnet sie Liss, einer stillen Einzelgängerin, die alleine einen Hof oben im kleinen Dorf bewirtschaftet. Sally darf bei ihr auf dem Hof bleiben. In Liss ist sie endlich auf jemanden getroffen, der anders ist als alle anderen. Instinktiv weiß Liss, dass sie Sally nicht zu nahe kommen darf: keine Fragen, keine Erwartungen, keine Verbindlichkeit. Denn daraus entstehen die kleinen Fäden zwischen Menschen, die zu einem immer dichteren Netz werden und sie am Ende gefangen halten. Ein Lebensthema von Liss.
Auf Liss’ Hof kommt Sally zur Ruhe. Sie hilft Liss bei der Arbeit, das Tun mit den Händen tut ihr gut. Ganz allmählich wird sie zutraulicher, auch wenn ihre furchtbare Wut auf die Welt bei einigen Gelegenheiten ganz plötzlich aus ihr herausbricht. Der Hof scheint wie losgelöst von Zeit und Raum, hier bestimmt der Lauf der Natur, was zu tun ist: Kartoffeln klauben, Brot backen, Birnen ernten. Eins nach dem anderen, in ruhiger Gelassenheit. Die Welt bleibt draußen. Aber diese zarte Idylle ist nicht von Dauer, denn natürlich wird Sally gesucht – und gefunden …
Warum empfehle ich dieses Buch?
Die Geschichte ist sehr gut, aber ihre ganz besondere Schönheit verleiht ihr die Sprache. Ruhig und still malt der Autor mühelos Bilder und Stimmungen, die sofort präsent sind („[sie ging] ins Bad. Es wurde gerade erst hell, aber sie machte das Licht nicht an. So waren die Farben noch so leise wie der Morgen.“). Das war mir ein ganz großer Genuss beim Lesen. Faszinierend fand ich die Person von Liss: Still, ruhig, gelassen und (fast immer) souverän begegnet sie Sally, stellt keine Ansprüche und lässt ihr Freiheit. Sehr beeindruckend und ungewöhnlich, und es ist spannend und schmerzhaft, nach und nach ihre Lebensgeschichte zu erfahren. Und das Thema, wie oben erwähnt, selbstbestimmtes Leben: Was passiert, wenn man Menschen wie Bäume anbindet, damit sie gerade wachsen?
Technische Daten
„Alte Sorten“ von Ewald Arenz
Dumont (mit Leseprobe!): https://www.dumont-buchverlag.de/buch/arenz-alte-sorten-9783832184483/
Taschenbuch, 256 Seiten, 10,00 €, ISBN 978-3-8321-8448-3