Die Grafton Street im Herzen Dublins habe ich schon hier vorgestellt: vielfältige Geschäfte, Blumenhändlerinnen auf der Straße, „heiß und fettig“ bei Bewley’s.
Aber was tut die Grafton Street überhaupt in „Vitamin V wie Wohnung“? Das liegt an Thies:
Thies’ Gesicht erstrahlte bei meinem Bericht. „Echt? Du kommst aus Irland? Das ist ja toll! Da war ich auch, mit meinem Kumpel, den ganzen Sommer nach dem Abi, war ’ne super Zeit …“ Aus seinen Augen sprühten förmlich Blitze. „In Dublin haben wir uns in die Fußgängerzone gestellt und auf der Gitarre die ganzen alten Sachen gespielt, Bob Dylan, Neil Young und so. Die Iren waren ganz schön freigiebig – für gute Musik haben die was übrig, glaube ich. Als wir die ganzen Stücke so richtig gut konnten, hat Matthias mal den Rekorder mitlaufen lassen. Irgendwo müsste ich die Kassette auch noch haben. Soll ich sie dir mal raussuchen? Äh … Naja … Also Hardrock ist das natürlich nicht gerade, ist dann wohl nicht so deine Baustelle …“
Die Grafton Street ist DAS Revier für Straßenmusiker! Dort sind immer irgendwelche „buskers“, es gibt immer was zu hören. Zum Star der Straße wurde 2017 und 2018 Allie Sherlock – ein damals 12-jähriges Mädchen aus dem County Cork im Süden Irlands, die monatelang regelmäßig mit ihrer Gitarre in der Grafton Street stand und bekannte Stücke coverte. Und zwar so gut, dass ihr das in Kombination mit geschicktem Marketing einen Plattenvertrag eingebracht hat.
Allie covert Passenger mit „Let her go“.
Das Interview mit Matthias
Doch zurück zum Roman. Thies war also mit Matthias auf Reisen. Dieser Matthias heißt im Buch nicht ohne Grund Matthias, denn es gibt ihn wirklich. Ich habe ihn für diesen Blog zu seinem Sommer in Dublin interviewt.
Zuerst wollte ich wissen, wie er auf die Idee kam, auf der Straße zu musizieren.
Matthias: Ich hatte mit Jan-Peter schon lange Musik gemacht, so seit 3–4 Jahren. Wir haben gerne zusammen gejammt und haben auch eigene Stücke geschrieben. Ein Repertoire hatten wir also beisammen. Und weil beide schon einmal in Dublin gewesen waren, haben wir uns dann überlegt, dass das bestimmt ganz romantisch ist, dort auf der Straße zu stehen und Musik zu machen. So haben wir unsere Gitarren eingepackt, uns drei Wochen in der Jugendherberge einquartiert und uns auf die Straße gestellt. Ganz ohne irgendwelche Anmeldung oder Genehmigung, aber es hat uns auch niemand fortgejagt.
Katja: Und, war es romantisch?
M: Naja, eher aufregend … Wir haben vor den Auftritten vorsichtshalber ein bisschen was getrunken, um die Nerven zu beruhigen! Ich muss dazu sagen, dass wir abends gespielt haben. Wir haben gedacht, dass sich auch die Leute, die abends unterwegs sind, in den Pubs und so, bestimmt auch über gute Musik freuen.
K: Wie war denn die Resonanz beim Publikum?
M: Einige sind stehengeblieben, wir haben freundliche Zurufe bekommen, manchmal auch irgendwas Unverständliches auf Englisch. Da haben wir dann lieber so getan, als hätten wir alles verstanden, und haben irgendwas zurückgerufen. Deutsche Touristen haben uns irgendwie schnell als Ihresgleichen identifiziert und uns auf Deutsch angesprochen. Und etwas Geld haben wir auch bekommen, aber reich wird man davon nicht. Ach ja, und über eine deutlich intensivere Begeisterung der weiblichen Zuhörerschaft hätte ich mich damals sehr gefreut …
K: Musstest du dich überwinden, vor Publikum zu spielen?
M: Nein, die Überwindung hatte ich schon längst aufgegeben, ich war es gewohnt, vor Leuten aufzutreten. Das fing mit der Blockflötengruppe in der Grundschule an, auf dem Gymnasium habe ich dann in Schulbands gespielt und auch an einer Musical-Aufführung teilgenommen. Unser Musiklehrer hatte ein Stück von Gilbert and Sullivan selbst übersetzt und mit uns eingeübt. Das hat mir gut gefallen. … Ich trete einfach gerne auf.
K: Also ist in dir ein kleines Rampensau-Gen vorhanden?
M: Ja, das kann man wohl so sagen!
K: Welche Instrumente hattet ihr denn und was für Musik habt ihr gemacht?
M: Wir hatten jeder eine Gitarre dabei, wobei Jan-Peter definitiv das bessere Equipment hatte: Mikro, Pickup und Verstärker. Ich habe dann eher die Rhythmusgitarre gespielt. Gesungen haben wir mehrstimmig, das klang sehr schön, manchmal auch einzeln. Oder nur mal eine Strophe gemeinsam. Wir haben extra viele Stücke von irischen Künstlern gespielt, zum Beispiel Christy Moore und U2. Aber es war nicht so, dass alle vor Begeisterung gleich mitgesungen hätten … Ansonsten Pop, Bekanntes. Den Sound kann man sich vielleicht ungefähr so vorstellen wie die Proclaimers.
K: Was habt ihr sonst noch in eurem Musiksommer in Dublin gemacht?
M: Urlaub! Wenn wir nicht in der Grafton Street spielten, spielten wir Gitarre, schrieben Postkarten, liefen durch Dublin und kauften Bücher, gingen in Pubs oder ins Kino. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir nur einen Film gesehen, aber den gleich mehrmals: Wayne’s World. Besonders schön war ein Busausflug zu einer frühmittelalterlichen Klosteranlage, Monasterboice glaube ich. Außerdem interessierten wir uns beide stark für die irische Unabhängigkeitsbewegung und haben uns deshalb ausgiebig im General Post Office nach Spuren der Easter Riots umgesehen. Jan-Peter kaufte sich deshalb auch ständig Presseorgane von Sinn Féin.
K: Das fand ich gerade bei meinen ersten Irland-Besuchen auch ein sehr spannendes Thema. Aber wenn man dann jahrelang in der Stadt lebt, verliert man das einfach aus dem Blick. Ganz vielen Dank für das Interview, Matthias. Und für die CD, die wir von dir haben und auf der Aufnahmen aus dieser irischen Zeit sind. Die höre ich immer gerne.
M: Oh, danke! Ja, die Aufnahmen sind eine tolle Erinnerung: ein Souvenir, das ganz aus uns selbst kommt, da mussten wir nichts kaufen …
Ein Video von damals gibt es zwar nicht, aber eines der Stücke, das wir von Matthias haben, ist der Beatles-Song „Eleanor Rigby“ (den ich überhaupt sehr liebe), den hier ein anderer Künstler in einer anderen Stadt vorträgt:
Wo sich der Herr befindet, dürfte unschwer zu erkennen sein.